Der lange Lauf

Nichts ist wohl umstrittener und von manchen Läufern mehr gefürchtet, als der wöchentliche Long Run. Richtig angewandt, kann Dir diese Trainingsform helfen, Deine langfristigen Laufziele zu erreichen und Du wirst mehr Spass am Laufen haben, weil Du Dich weniger verletzen wirst.

Grundsätzlich verbessern die langen Läufe Deine aerobe Ausdauer, indem Du länger als üblicherweise läufst. Dein Körper hat keine Vorstellung darüber, wie viele Kilometer Du dabei absolvierst, jedoch bezüglich Intensität und Zeit, die Du auf Deinen Füssen verbringst. Es geht also immer um Kraftaufwand in einer bestimmten Zeit. Um Verletzungen zu verhindern und dem Körper Zeit für die nötigen Anpassung zu geben, sollte das Volumen eines langen Laufes nicht mehr als 1/3 der gesamten Wochenkilometer ausmachen. Wenn jemand also 20km pro Woche zurücklegt, sollte der lange Lauf nicht mehr als etwa 7km ausmachen. Wenn ein Läufer in der Marathonvorbereitung einen langen Lauf von 20km macht, sollte das wöchentliche Volumen demzufolge bereits 60km betragen.

Vor allem Laufanfänger lassen sich oft zu extremen Kilometerumfängen verleiten und verletzen sich unnötig. Wichtig zu wissen ist, dass Standartpläne immer nur die finale Vorbereitungsphase für einen Lauf umfassen und schon eine solide Basis voraussetzen. Darum: Sobald die langen Läufe (Zum Beispiel in der Marathonvorbereitung) 30 bis 34km betragen und/oder die wöchentliche Höchstkilometerzahl 60 beträgt, musst Du sehr vorsichtig sein, denn ab diesem Moment steigt das Verletzungsrisiko exponentiell. In diesem Fall sollte man unter der Woche bereits einen mittellangen Lauf von mindestens der Hälfte bis zu 2/3 des langen Laufs einplanen.

Ein guter Trainingsplan ist immer polarisiert, d.h. die leichten Einheiten sind leicht und die harten Einheiten sind wirklich hart. Das Laufvolumen sollte gegenüber der Vorwoche nicht mehr als 5-10% gesteigert werden und periodisiert gibt es auch Erholungswochen, wo das Pensum massiv zurückgefahren wird, bevor es dann auf einem höheren Niveau weitergeht. Die schrittweise Erhöhung der Kilometer, resp. der Dauer ist natürlich auch für den langen Lauf gültig.

Lange Läufe (ab ca. 90 min) verursachen eine Kaskade molekularer Ereignisse und Dein Körper nimmt viele interessante Anpassungen vor:

Mitochondrien: Eine längere Laufzeit verursacht eine Kaskade molekularer Ereignisse. So werden neue Mitochondrien erzeugt (Mitochondriale Biogenese), die aerobe Kapazität verbessert, die Fettverbrennung erhöht und die aerobe Kraft (VO2max) optimiert.

Muskelkapillarisierung: Die anhaltende Erhöhung des Blutflusses durch die Muskelkapillaren mobilisiert den Körper zur Erweiterung des Kapillarnetzwerks.

Größere Kraftstoffspeicherung: Wenn Du lange genug läufst, wird der Kraftstoffverbrauch verringert (oder stark gesenkt), das heisst dass Deine Muskelglykogenspeicher (die gespeicherte Form von Kohlenhydraten) entleert werden. In der Folge kannst Du mehr Glykogen synthetisieren und speichern, als vorher.

Stärkere Nutzung von Fett als Energiequelle: Wenn die Glykogenreserven in den Muskeln aufgebraucht sind, wird vermehrt Fett als Energiequelle herangezogen. Der Körper lernt somit bei langen Läufen zunehmend, mehr Fett als Energiequelle zu benutzen. Diese Fähigkeit ist vor allem beim Marathon wichtig. (Die Fett,- und Kohlehydratverbrennung funktioniert aber nie für sich alleine, sondern immer im Zusammenspiel)

Erhöhte Kapazität zur Herstellung von mehr Glukose: Wenn die Glykogenreserven in den Muskeln aufgebraucht sind (nach ca. 1 Stunde, abhängig vom Läufer/der Läuferin), wandelt die Leber Aminosäuren und Laktat in Kohlehydrate um (in Form von Glukose). Dies, um schnelleren Kraftstoff für die Aufrechterhaltung der Laufpace zu liefern. Das nennt man Glukoneogenese, buchstäblich die Bildung neuer Glukose aus Nichtkohlenhydraten. Dieser Prozess verhindert ebenfalls, dass der Blutzuckerspiegel zu stark absinkt.

Stärkere Muskeln, Knochen, Sehnen und Bänder: Langes Laufen ist hart für Muskeln und Gelenke, so dass sie sich anpassen, indem sie stärker werden, um den Stress der Rückschläge während des Laufes zu bewältigen.

Größere psychologische Stärke: Wenn Du lange rennst, sind es nicht nur Deine Beine, die müde werden. Der Verstand tut es auch. Dieser psychologische Aspekt ist darum genauso wichtig, wie die physiologischen Gründe dafür. Ein konstanter Vertrauensaufbau in die eigenen Fähigkeiten werden Dir helfen, Dich schrittweise an die Königsdisziplin Marathon heranzutasten.

Lange Läufe können auch verwendet werden, um die verschiedenen Muskelfasern zu trainieren, ohne anaerob zu laufen. Ohne hier zu tief ins Detail gehen zu wollen (Es gibt bei den Muskelfasern noch diverse Untertypen) ist es spannend zu unterscheiden, dass es schnell und langsam zuckende Muskelfasern gibt. Wenn Du also lange genug läufst dann werden auch die langsam zuckenden Fasern ermüdet, resp. deren Widerstandsfähigkeit gesteigert. Denn diese Fasern werden erst rekrutiert, nachdem die schnell zuckenden Fasern bereits ermüdet sind.

Das Tempo des langen Laufs hängt von Deiner Lauferfahrung ab. Für Anfänger ist das Tempo nicht so hoch wie das Tempo des erfahrenen Läufers. Wichtiger als die Pace ist die Laufdauer. Laufe in einem angenehmen, gesprächigen Tempo (ungefähr) zwei Minuten pro Kilometer langsamer als Deine 5 km Race-Pace oder etwa 70 bis 75 Prozent der maximalen Herzfrequenz. Das Atmen sollte, obwohl erhöht, sehr angenehm und rhythmisch sein, und Du sollst in der Lage sein, die ganze Zeit ein Gespräch zu führen. Fortgeschrittene können dann auch in einem höheren Tempo, z. Bsp. an der Laktatschwelle unterwegs sein.

Läufer sollten versuchen, die langen Läufe morgens zu machen, genau wie die Rennen selbst. Im Training werden die langen Läufe, indem diese immer länger werden, wie eine Marathon-Generalprobe. Dabei kannst Du bereits dieselben Schuhe, Socken und Kleidung tragen, die Du auch im Rennen benützen möchtest. Bezüglich Ernährung solltest Du aber soweit möglich auf die Einnahme von Kohlehydraten verzichten und wenn es geht, möglichst nur Wasser trinken. Als Geheimtipp gilt hier der Lauf auf nüchternen Magen, das ist jedoch gewöhnungsbedürftig. Wenn Du Energie auf Zuckerbasis zuführst wird der Körper diese immer zuerst verwenden und das Ziel, die Fettverbrennung zu fördern, wird zunichte gemacht. In den letzten Wochen vor dem Wettkampf solltest Du dann aber damit beginnen,  die gleichen Ernährungsstrategien zu üben und anwenden, wie im Rennen selbst, (z. Bsp. welche Flüssignahrung wie Gels vertrage ich, Flüssigkeitsaufnahme während dem Laufen etc.) sodass im Rennen keine bösen Überraschungen auf Dich warten.

Michael Sommmer