Meine Zeit als Läufer in Kenia

Michael Sommer - Lauftraining Kenia

Auf der Suche nach Inspiration und stetiger Verbesserung meiner läuferischen Leistung habe ich bereits früh damit begonnen, den Erfolg der kenianischen Läufer zu studieren. Laufen ist eine Art von Freiheit und der damit verbundene, einfache Lifestyle in Kenia faszinieren mich bis heute.

Im Jahr 2019 bin ich zum ersten Mal nach Kenia gereist. Neben läuferischen Erlebnissen an den bekanntesten Orten wie dem Tambach-Track oder dem Singore Forest habe ich viele emotionale und zwischenmenschliche Erlebnisse mit laufbegeisterten Menschen aus aller Welt teilen dürfen. Im kenianischen Hochland sind Freundschaften entstanden, die bis heute Bestand haben. Wir kamen alle als Fremde und gingen als Freunde. Reicher an Erfahrung und Wissen, verbunden durch eine einzigartige Passion, das Laufen.

Die einzigartige Atmosphäre in Kenia und bescheidene Lebensweise in Iten, dem Home of Champions, ist für jeden echten Läufer ein Erlebnis. Zusammen mit den lokalen Athleten das tägliche Leben 1:1 mitbekommen ist für Europäer zeitweise eine Herausforderung, ein persönliche Grenzerfahrung und Horizonterweiterung. Das Essen, das Klima, die Umstände und Kultur machen eine Reise zum unvergesslichen Erlebnis.

Dass die Kenianer die Dinge anders sehen und in ihrem Mindset anders sind, ist bekannt. Was es aber heisst diese Philosophie hautnah zu erleben ist etwas ganz anderes. «Es gibt keine Probleme, nur unübliche Situationen» war eines der Dinge, die ich mitgenommen habe. Wir beklagen oft die kleinsten Dinge und verlieren den Blick aufs wesentliche. Oder die Pünktlichkeit. Da kommen wir diszipliniert immer zu früh, während die Kenianer locker mal eine Stunde Verspätung haben und das ist völlig okay. Warum immer mit der Garmin Uhr laufen, wenn es auch nach Gefühl geht? Wenn man dann an einer massiven Steigung und fast am Ende der Kräfte von einem Schuljungen im Wollpullover und Rucksack überholt wird, kommen Selbstzweifel auf. Oben angekommen winkt der kleine Junge und nimmt den Schulbus an der Hauptstrasse und ich versuchte verzweifelt an meinem weiblichen Pacemaker dranzubleiben.

Auf dem Long Run im Singore Forest haben mich unsere Pacemaker weiter und über meine Grenzen gepusht, als ich schon aufgeben wollte. Die Woche hatte mir bereits arg zugesetzt und ich wollte nur noch anhalten. «Ich kann nicht mehr», habe ich gewimmert. «Michael, Du musst das jetzt machen», haben sie gesagt und mich in die Mitte genommen. Da war ich nun, am Ende der Welt zwischen zwei Top-Marathonläufern die mir selbstlos geholfen haben über mich hinauszuwachsen. Ich war bleich, entkräftet und musste mich übergeben. Aber es ging immer weiter und heute weiss ich, dass mich diese Situation weitergebracht hat. Vor allem mental.

Zurück in der Schweiz denke ich noch heute sehr viel über diese Erlebnisse nach, insbesondere hilft das Laufen, die täglichen Herausforderungen zu reflektieren und den Kopf zu lüften. Unser Kenia Coach hat uns gesagt, wenn wir zurück in unserer Welt sind und uns weiter sinnlos wegen kleiner Dinge beklagen, werden wir uns irgendwie schuldig fühlen. Und er hat Recht.

In seinem Laufgeschäft habe ich die grosse Ehre gehabt, einen der ganz grossen Legenden des kenianischen Laufsports kennenzulernen: Kipchoge Keino. (Siehe Foto)

Kipchoge Keino ist eine aussergewöhnliche Persönlichkeit. Er hat im Sport alles erreicht und ist bodenständig geblieben. So war es denn nicht weiter verwunderlich, dass er mir sinngemäss gesagt hat, dass irdische, materielle Dinge nicht glücklich machen und ich weiss genau, was er damit meint.

Im Zuge meiner Knieverletzung war ich fast zwei Jahre lang auf der Suche nach einer Lösung. Während der Vorbereitung zum Zürich Marathon hatte ich viel zu verbissen immer die gleichen Routen und Umfänge geleistet und wegen der zu vielen Long Runs auf Asphalt ein Patellasehnen-Problem plus eine Schleimbeutel-Entzündung eingefangen. Drei Sessions Physiotherapie mit diversen Übungen halfen nicht weiter. Der Sportarzt meinte, man müsse die Sehne versetzen und spritzte mir Chemie ins Knie. Nichts half. In Kenia ging ich dann zur Massage und sah wortwörtlich das Feuer in Holland. Lass mich nur machen, hat der Masseur, genannt «der Metzger» gemeint. Er hat dermassen hart zugepackt, dass mir die Tränen in die Augen schossen. Er meinte, ich hätte kein Knieproblem, sondern eine muskuläre Dysbalance. Unbewusst, um den Schmerz im Knie zu vermeiden bin ich nicht mehr voll aufgetreten. Die moderne Medizin hatte versagt, der Kenianer hat es mit einem Griff entdeckt, ohne teure Apparate. Da wurde mir bewusst, dass ich jetzt anfangen muss, meinen Weg zurück in Angriff zu nehmen.

Die grössten Hebel auf diesem Weg waren eine komplette Umstellung der Lauftechnik, verbunden mit hochintensivem Krafttraining und alternativem Training. Vieles habe ich bis heute gelernt und möchte gerne damit anderen Läufern helfen, die gleichen Fehler zu vermeiden und zur individuellen Unterstützung beitragen. Dies, gekoppelt mit einem einzigartigen Trainingsprogramm welches sämtliche Aspekte der modernen Wissenschaft umfasst. Laufen ist nicht gleich Laufen. Es braucht dazu eben doch mehr als nur ein paar Schuhe. Laufen ist vielmehr als nur irgendeine Sportart. Es vereint Lebensgefühl, Freiheit und verfolgt eine eigene Lebensphilosophie.

Michael Bissig